Hier werden alle überlieferten Bilder von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945 in kuratierter und wissenschaftlich kontextualisierter Form digital veröffentlicht. Durch die komplexe Filterstruktur und die Annotation der Fotografien mit historischem Kontextwissen ist der Bildatlas digitale Edition und interaktive Ausstellung zugleich. Er bietet verschiedenen Zielgruppen einen gebündelten digitalen Zugang zu den Fotos der Deportationen.
In der digitalen Sammlung von #LastSeen finden sich Digitalisate unterschiedlicher Provenienz und Qualität. Dies spiegelt die unterschiedliche Materialität wider, in der die Fotos überliefert sind: (Glas-)negative, Kontaktabzüge, Originalabzüge, Dias und Zeitungsaufnahmen sind die historischen Formate. Die meisten Aufnahmen liegen in schwarz-weiß oder sepia vor, nur eine Serie in Farbe ist bekannt. In der Überlieferung der Bilder kommen weitere Formen hinzu: Kopien, fotografische Reproduktionen, digitale Scans, Abdrucke zum Zwecke der Veröffentlichung und Standbilder aus Videoaufnahmen. Je nach Überlieferung liegen die Bilder in unterschiedlicher Auflösung vor. Die Rückseiten der Abzüge, wenn diese vorhanden sind, sind zum Teil beschriftet oder auch beklebt. Sie sind zentral für die Analyse der Bilder, weshalb sie auch im Bildatlas abgebildet werden. Diese komplexe Materialität ist herausfordernd, denn einige Bilder liegen in herausragender, anderer in sehr schlechter Qualität vor. Einige Bilder erscheinen in der Gesamtansicht, aber auch auf Einzelbildebene unruhig und schief. Einzelne Fotos müssen sogar verkleinert werden, damit sie im streng geometrischen Raster abgebildet werden können. Die unterschiedliche Qualität erlaubt eine unterschiedlich tiefe Erschließung der Bilder: Manchmal ist mehr, manchmal ist weniger auf den Bildern zu erkennen.
Fotografien benötigen Kontext, um als historische Quellen genutzt werden zu können. Daher werden im Bildatlas zu jedem Foto Informationen bereitgestellt: Dazu gehören neben einer sprechenden Bildunterschrift eine kurze Beschreibung der Deportation zusammen mit dem Verweis auf weiterführende Quellen und Literatur, Informationen über die Bildserie als Ganzes und ihre Überlieferung, sowie eine Kurzbiografie des:r Fotograf:in (falls bekannt). Die Fülle und wissenschaftliche Validität der bereitgestellten Informationen variiert je nach Quellenlage. Wie sicher eine Information ist, versuchen wir sprachlich abzubilden.
Alle Fotografien im Bildatlas sind annotiert. Weiße Punkte zeigen an, dass zu einem Bildinhalt Hintergrundinformationen vorliegen. Wir unterscheiden drei Formen dieser so genannten Tags: Erstens, werden identifizierte Personen sichtbar gemacht und (wenn möglich) ihre Biografien hinterlegt. Zweitens, verwenden wir deskriptive Tags, die wiederkehrende Elemente auf den Bildern erklären und die Nutzenden bei der Analyse unterstützen. Diese sind zusätzlich als Filter programmiert, sodass Bilder, die ein bestimmtes Element enthalten, einfach zusammengestellt werden können. Drittens finden sich auf den Bildern narrative Tags. Bei ihnen handelt um eine neue innovative Form, mit direkten Annotationen auf den Fotos Geschichte(n) zu erzählen. Dies kann zum Beispiel auf den Bildern der ersten Deportation aus München 1941 betrachtet werden. Aktuell sind die drei Taggingformate noch nicht visuell unterscheidbar, dies wird in naher Zukunft angepasst.
Der Bildatlas bietet verschiedene Darstellungsweisen des Gesamtbestandes an. Auf einer interaktiven Karte werden die Fotografien so genau wie möglich verortet angezeigt. Dafür wurden sie im Voraus georeferenziert. Die Rasterdarstellung zeigt die gesammelten Fotografien alphabetisch nach Ort an. In dieser Ansicht ist eine Filterung der Bilder anhand verschiedener Dimensionen möglich: Ort, Zeitraum, Verfolgtengruppe, Bildhandlung und Örtlichkeit, sowie anhand der oben Beschriebenen deskriptiven Annotationen. So können Bilder verschiedener Serien schnell und einfach für einen Vergleich herangezogen werden. Auch eine Volltextsuche des gesamten Bildatlas ist möglich.
Diese verschiedenen Funktionen und Darstellungsweisen heben den digitalen Bildatlas von einer klassischen gedruckten Quellenedition ab. Sie erlauben eine niedrigschwellige vergleichende Betrachtung und bieten eine fragmentarische und zugleich ineinandergefügte Erzählung über die einzelnen Bildserien.
Die Veröffentlichung von Fotografien, die in der Regel den Kameras der Täter:innen entstammen und ohne die Zustimmung der abgebildeten Verfolgten aufgenommen wurden, stellt uns vor ethische Fragen und Probleme. Ist ihre Publikation angemessen oder verstärkt sie noch die Entwürdigung und Entrechtung der Verfolgten? Welche Art von kuratorischer Einbettung erfordert eine digitale Edition von Gewaltbildern? Um uns diesen Fragen zu nähern und Grundsätze für unseren Bildatlas zu erstellen, haben wir uns in dessen Konzeptionsphase mit Expert:innen auf diesem Gebiet zusammengesetzt.
Wie auch andere historische Quellen enthalten Fotografien zeitgenössische Sprache. Die in der Regel als Bildunterschriften bzw. rückseitige Bildbeschriftungen formulierten Texte sind oftmals antisemitisch oder antiziganistisch, enthalten Zynismen oder Euphemismen. Da wir einen Anspruch auf Genauigkeit im Umgang mit den Quellen haben, bilden wir diese Texte mit ab und schreiben sie ggf. auch ab, wenn Handschriften schlecht lesbar sind. Damit reproduzieren wir leider, wie auch bei durch die Bildinhalte selbst, ideologische Elemente des Nationalsozialismus. Daher hat die wissenschaftliche Einbettung der Fotografien im Bildatlas eine hohe Priorität. Die Alternative, jene Quellenelemente nicht zu zeigen oder zu verschweigen, besteht für uns nicht. Wir vertrauen hier auf die Nutzenden des Bildatlas und auf ihre sorgfältige und kritische Lektüre.
Erfahren sie hier mehr zu den ethischen Fragestellungen und den Prinzipien des Bildatlas:
#LastSeen ist ein Grundlagenforschungsprojekt, das auf dem Bildatlas aufbauend zahlreiche weitere Forschungsfragen aufwirft. Unsere digitale Edition bietet einen für verschiedene Zielgruppen gebündelten digitalen Zugang zu den Fotos der Deportationen, die bereits durch wissenschaftliche Kontextualisierung angemessen gerahmt vorliegen. Die komplexe Filterstruktur macht den Bildatlas insbesondere für die Erforschung der Visual History des Nationalsozialismus unter verschiedenen thematischen Aspekten nutzbar. Zudem sind Forschende ständig eingeladen, die in der sich ständig veränderten digitalen Edition vorliegenden Informationen zu ergänzen oder zu korrigieren. Dafür steht unser Team unter lastseen@zedat.fu-berlin.de zur Verfügung.
Die im Bildatlas veröffentlichte Sammlung der Fotos eignet sich in besonderer Weise für die pädagogische Arbeit: Gerade, weil lokale oder regionale Bezüge hergestellt werden können und einzelne Personen identifiziert sind. Bezüge zu anderen, schriftlichen Quellen sind einfach herstellbar. Aktuell wird eine Handreichung erarbeitet, die pädagogischen Fachkräften die Arbeit mit dem Bildatlas erleichtern soll. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fotografien als Quellen stellt #LastSeen ein digitales Entdeckungsspiel für den Unterricht bereit.
Eine digitale Repräsentation historischer Quellen macht oftmals den Eindruck von Vollständigkeit. Diesen Anspruch können und wollen wir nicht erheben. Es gibt vielmehr verschiedene Leerstellen, von denen nur einige benannt werden: Aus zahlreichen Orten gibt es gar keine Fotos, auch zeitlich gibt es Lücken, beispielsweise bei der Überlieferung von Bildern ab 1943. Besonders fehlt im Bestand der heute bekannten Bilder die Perspektive der Verfolgten. Dies verdeutlichen auch die Störkacheln in der Rasteransicht des Atlas‘.
Wie andere digitale Projekt auch ist der Bildatlas work in progress. Weitere Serien werden sukzessive erschlossen und veröffentlicht, um das Konvolut der Deportationsbilder vom Reichsgebiet in seinen Grenzen von 1937 zu ergänzen. Auch thematische und geografische Erweiterungen sind geplant. Während der laufenden Projektphase sollen Fotografien aus Österreich und von Transporten im Kontext der NS-„Euthanasie“ hinzukommen.
Alle Bilder und die dazugehörigen Beiträge im Bildatlas sind mit einem festen Link hinterlegt, der sich auf die Bild-ID bezieht, sodass die einzelnen Bildbeiträge zitierfähig sind.
Wir empfehlen für wissenschaftliche Publikationen folgende Zitation:
Autor:in des Bildbeitrags: Titel der Bildseite, in: Alina Bothe (Hrsg.): #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen, Berlin 2023, LINK (letzter Zugriff)
Bsp: Kerstin Hofmann: Deportation von Gailingen nach Gurs am 22.10.1940, in: Alina Bothe (Hrsg): #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen, Berlin 2023; https://atlas.lastseen.org/image/gailingen/76 (letzter Zugriff: 30.07.2024)
Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen
Dr. Alina Bothe
Projektleiterin
c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
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